Organhaftung bedenken
Fricker Füllemann Rechtsanwälte wurde angefragt, ob die Wohnsitzerfordernis für Aktiengesellschaften betreffend Handelsregistereintrag einer vertretungsberechtigten Person erfüllt werden könne, indem ein Eintrag ohne Funktionsbezeichnung erfolge und ohne dass daraus eine Organstellung und entsprechend eine Organhaftung resultieren. Es ergibt sich Folgendes:
Eine Aktiengesellschaft (AG) muss gemäss Art. 718 Abs. 4 OR (Obligationenrecht) durch eine Person vertreten werden können, die Wohnsitz in der Schweiz hat.
Dieses Erfordernis kann gemäss Wortlaut des Gesetzes durch ein Mitglied des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans oder einen Direktor erfüllt werden.
Der Begriff des Direktors ist im Sinne von Art. 718 Abs. 2 OR auszulegen: Es handelt sich dabei um einen „Dritten“ (d.h. eine nicht dem Verwaltungsrat zugehörige Person), dem die Vertretungsberechtigung übertragen wurde. Es ist daher nicht erforderlich, dass diese Person als Direktor im Handelsregister eingetragen wird. Eine Prokura oder eine Handlungsvollmacht genügt hingegen den Anforderungen der Art. 718 Abs. 4, 814 Abs. 3 und 898 Abs. 2 OR nicht (Praxismitteilung EHRA 1/08 – 17. Oktober 2008).
Eine Eintragung ohne Funktion ist damit möglich (und wird sogar in der Praxis empfohlen), dennoch kommt der eingetragenen Person damit die Funktion eines «Direktors», also eines vom Verwaltungsrat bevollmächtigten Dritten im Sinne des Gesetzes zu. Es ist damit die Organstellung eines solchen Direktors zu prüfen.
Gemäss etablierter Rechtsprechung und Lehre unterstehen der Organhaftung vor allem die Mitglieder der Verwaltung und der Kontrollstelle (BGE 86 II 171 und BGE 93 II 22). Darunter würden aber noch weitere Personen fallen, ohne Rücksicht darauf, ob sie in den Statuten als Organe bezeichnet sind. Massgebend sei vielmehr die Funktion, die sie tatsächlich ausüben. Soweit sie selbständige Verwaltungs- und Vertretungsbefugnisse ausübten und damit an der Willensbildung der juristischen Person teilnehmen, wie das in aller Regel etwa für Direktoren zutreffe, seien sie Organe und würden sie als Organe haften (GUHL, MERZ, KUMMER, Das schweizerische Obligationenrecht, 7. Aufl., S. 691).
FORSTMOSER (Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl.) unterscheidet zwischen formeller und materieller Organstellung und führt dazu u.a. aus (N. 654 und 655, S. 209): „Organpersonen im Sinne der Verantwortlichkeitsbestimmungen sind alle Mitglieder des Verwaltungsrates, unabhängig davon, welche Aufgaben sie tatsächlich erfüllen (formelle Organeigenschaft).“ Indessen betrachtet er nicht jede im Handelsregister eingetragene Person ohne weiteres als Organ im formellen Sinne. Wohl aber könne der Eintrag in bestimmter Funktion – etwa als Direktor – eine Organstellung durch Kundgabe bewirken und werde der in gehobener Position Eingetragene in aller Regel auch Organ im materiellen Sinne sein. Bezüglich der Organstellung von Direktoren, Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten bemerkt FORSTMOSER (N. 741 bis 743, S. 232): Die Frage der Unterstellung dieser Personen und weiterer Angestellter unter die aktienrechtliche Verantwortlichkeit richte sich konsequent nach dem materiellen oder funktionellen Organbegriff. Direktoren werde man in aller Regel als Organe im Sinne von Art. 754 OR qualifizieren. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass die Organeigenschaft auch dann anzunehmen sei, wenn nach dem Vertrauensgrundsatz aus den äusseren Umständen auf eine solche Stellung geschlossen werden dürfe (FORSTMOSER, a.a.O., S. 214/5 Rz. 676 ff.).
Nach dem Gesagten und in Hinblick darauf, dass eine blosse «HR-eingetragene Briefkastenadresse in Personalform» teleologisch -zum Beispiel bei der Haftung für nicht bezahlte Sozialbeiträge- vom Gesetzgeber eher unerwünscht sein dürfte, ist von einer Organstellung des «Direktors» wohl ceteris paribus eher auszugehen. Dies gilt insbesondere in solchen Fällen, in denen der Direktor die einzige belangbare Person in der Schweiz darstellt. Bei der Annahme solcher Mandate empfiehlt es sich damit, vorsichtshalber von einer Organstellung auszugehen und das Vergütungsmodell und die rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend auszugestalten, auch wenn der Eintrag im Handelsregister ohne Funktionsbezeichnung erfolgt.
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