In der Schweiz steht genügend Impfstoff zur Verfügung, um die gesamte Bevölkerung gegen das Coronavirus zu impfen. Darf vor diesem Hintergrund ein Arbeitgeber eine Impfpflicht im Betrieb anordnen?
Flavia Mattioz
Rechtsanwaltssubstitutin bei Fricker und Füllemann Rechtsanwälte
Studium an der Universität Luzern mit Abschluss Master of Law (Luzern) im Jahr 2019, nicht als Anwältin zugelassen.
Matthias Fricker
Rechtsanwalt und Partner bei Fricker und Füllemann Rechtsanwälte
Studium an der Universität St. Gallen mit Abschluss Master in Law (M.A. HSG in Law) im Jahr 2012, eingetragen in Anwaltsregister des Kantons Zürich, Mitglied des Zürcher Anwaltsverbandes.
Fabian Füllemann
Rechtsanwalt und Partner bei Fricker und Füllemann Rechtsanwälte
Studium an den Universitäten St. Gallen und Zürich mit Abschluss Master of Law UZH im Jahr 2013, eingetragen in Anwaltsregister des Kantons Zürich, Mitglied des Zürcher Anwaltsverbandes.
Kein grundsätzliches Recht des Arbeitgebers zur Anordnung einer Impfpflicht
Beiden Parteien des Arbeitsverhältnisses kommen vertragliche Pflichten zu. So hat der Arbeitgeber beispielsweise im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflicht für den Schutz der Gesundheit seiner Angestellten zu Sorgen. Zudem ist er aufgrund der leider immer noch aktuellen Corona-Pandemie gesetzlich verpflichtet, Präventionsmassnahmen gegen COVID-19 zu ergreifen. Aus dieser Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kann jedoch noch keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Impfung abgeleitet werden.
Dem gegenüber hat der Arbeitnehmer die Vertragspflicht, allgemeine Anordnungen des Arbeitgebers und die ihm erteilten besonderen Weisungen nach Treu und Glauben zu befolgen. Auch daraus ergibt sich jedoch nicht tel quel ein Recht des Arbeitgebers, ein Impfobligatiorium anzuordnen.
Rechtmässigkeit einer staatlich angeordneten Pflichtimpfung
Eine Zwangsimpfung würde einen schweren Eingriff in die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der persönlichen Freiheit sowie der Willensfreiheit darstellen. Eine generelle staatlich angeordnete Impfpflicht ist nicht vorgesehen, zumal deren Rechtmässigkeit auch höchst fragwürdig wäre. Impfungen gegen Covid‑19 sind deswegen in der Schweiz freiwillig.
Der Bundesrat hat jedoch gestützt auf das Epidemiengesetz die Möglichkeit, Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen die bestimmten Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären zu lassen. Eine staatliche Impfpflicht ist damit nur für klar bestimmte Personengruppen zulässig.
Zulässigkeit einer durch den Arbeitgeber angeordneten Pflichtimpfung?
Ein Arbeitgeber kann seinen Arbeitnehmern bedenkenlos nahelegen, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, oder dafür sogar entsprechende Prämien ausloben. Dies entspricht der Impfstrategie des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Die Impfungen müssen dabei jedoch grundsätzlich freiwillig bleiben. Eine generelle Impfpflicht für sämtliche Angestellte eines Betriebes ist klar nicht zulässig.
Eine Impfpflicht kann der Arbeitgeber nur dann anordnen, wenn eine konkrete und verhältnismässig hohe Gefährdung von Arbeitnehmern oder Dritten (z. B. Patienten, Klienten, Arbeitskollegen) besteht. Dabei müssen jedoch immer zuerst weniger einschneidende Schutzmassnahmen geprüft und eine Güterabwägung vorgenommen werden. Weiter ist die Impfpflicht zeitlich zu befristen. Ein möglicher Anwendungsfall sind Ärzte und Pflegepersonal, welche täglich in direkten Kontakt mit besonders gefährdeten Patienten in Altersheimen, Spitälern oder Praxen stehen.
Für einen Arbeitgeber kann die Impfung seiner Angestellten gegen das Corona-Virus von grosser wirtschaftlicher Bedeutung sein. So wird nach aktuellem Kenntnisstand das Risiko schwerer Krankheitsverläufe durch die Impfung drastisch reduziert, was zu weniger Krankheitsausfällen führt. Ungeimpfte Arbeitnehmer mit Kundenkontakt könnten zudem einen Wettbewerbsnachteil und Reputationsrisiken mit sich bringen. Dem gegenüber stehen die erwähnten Grundrechte der Arbeitnehmer. Eine Güterabwägung wird damit im Regelfall zugunsten der Freiheit der Arbeitnehmer ausfallen.
Zulässig ist eine Impfflicht weiter, wenn eine Impfung zur Ausführung der Arbeit ohnehin behördlich vorausgesetzt wird und ohne Impfung keine Arbeit geleistet werden darf. Ein denkbarer Anwendungsfall ist das Flugpersonal im Personenflugverkehr. Diesfalls ist eine Impfpflicht deshalb rechtmässig, weil internationale Flüge nur noch für geimpfte Personen zugelassen sind und die Arbeit ohne Impfung nicht mehr ausgeübt werden könnte.
Was passiert, wenn ich mich der Impfung verweigere?
Ist die Anordnung einer Pflichtimpfung durch den Arbeitgeber im Ausnahmefall zulässig, stellt eine Weigerung des Arbeitnehmers eine Verletzung seiner arbeitsrechtlichen Pflichten dar. Als Folge drohen Verwarnung, Versetzung im Betrieb oder schlussendlich -als ultima ratio‑ auch eine Kündigung.
Ist eine Impfpflicht hingegen nicht rechtmässig, was regelmässig der Fall sein dürfte, so liegt mit der Impfanweisung eine unzulässige Weisung des Arbeitgebers vor, welche nicht befolgt werden muss. Entsprechend wären Sanktionen des Arbeitgebers in Folge ebenfalls unzulässig. Eine gestützt darauf ausgesprochene Kündigung wäre diesfalls missbräuchlich.
Muss ich meinen Arbeitgeber über meinen Impfstatus informieren?
Das zur Impfpflicht Gesagte gilt analog für die Bekanntmachung des Impfstatus gegen Covid-19. Kann der Arbeitgeber konkret eine Impfung verlangen, haben die Arbeitnehmer ihn über ihren Impfstatus gegen Covid-19 zu informieren.
Die für eine ‑durch den Arbeitgeber angeordnete- Impfung aufgewendete Zeit gilt übrigens immer als Arbeitszeit und ist damit zu bezahlen.