Die Machtübernahme der Taliban und die Fluchtbemühungen vieler afghanischer Bürger ist aktuell medialer Brennpunkt. Entsprechend zu dieser Krise haben bei unserer Kanzlei die Anfragen von in der Schweiz ansässigen Afghanen zugenommen, welche ihre Familienangehörigen zu sich in die Schweiz holen möchten.
Matthias Fricker
Rechtsanwalt und Partner bei Fricker und Füllemann Rechtsanwälte
Studium an der Universität St. Gallen mit Abschluss Master in Law (M.A. HSG in Law) im Jahr 2012, eingetragen in Anwaltsregister des Kantons Zürich, Mitglied des Zürcher Anwaltsverbandes.
Fabian Füllemann
Rechtsanwalt und Partner bei Fricker und Füllemann Rechtsanwälte
Studium an den Universitäten St. Gallen und Zürich mit Abschluss Master of Law UZH im Jahr 2013, eingetragen in Anwaltsregister des Kantons Zürich, Mitglied des Zürcher Anwaltsverbandes.
Flavia Mattioz
Rechtsanwaltssubstitutin bei Fricker und Füllemann Rechtsanwälte
Studium an der Universität Luzern mit Abschluss Master of Law (Luzern) im Jahr 2019, nicht als Anwältin zugelassen.
Humanitäre Visa ausgeschlossen
Die schweizerische Botschaft in Kabul wurde evakuiert, womit ein humanitäres Visum vor Ort für Familienangehörige in Afghanistan nicht mehr erhältlich gemacht werden kann. Für den Erhalt eines solchen Visums wäre deshalb die Ausreise in ein Nachbarland und die Stellung des Visumsantrages bei der dortigen Schweizer Vertretung notwendig. Indem durch die Ausreise aus Afghanistan die Gefährdung der ausreisenden Person jedoch wegfällt, fällt auch die Voraussetzung einer konkreten Bedrohung weg. Damit würde die Visumserteilung abgelehnt. Entsprechend sind Gesuche aus Afghanistan nicht möglich und aus anderen Staaten (nach Flucht aus Afghanistan) würden sie nicht gutgeheissen.
Familiennachzug als letzte Möglichkeit
Von den rund 20’000 Afghanen in der Schweiz sind rund 2’800 anerkannte Flüchtlinge. Diese haben Anspruch auf Familiennachzug. Weitere 11’500 Personen besitzen den Status der vorläufigen Aufnahme (Zahlen gemäss Blick-Artikel vom 19. August 2021). Bei diesen Personen wurde das Asylgesuch mangels persönlicher Verfolgung abgewiesen, da ein Bürgerkrieg nicht als Asylgrund gilt. Eine Rückführung ist für diese Personen jedoch ausgeschlossen, da ihre Rückkehr nach Afghanistan unzumutbar ist. Auch das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat bereits angekündigt, ab 11. August 2021 angesichts der sich dramatisch verschärfenden Situation, vorläufig auf Rückführungen nach Afghanistan zu verzichten. Auch neuen Wegweisungen werden keine verfügt – einzige Ausnahmen sind schwer straffällige Personen.
Wartefrist gesenkt
Vorläufig aufgenommene Personen können gemäss Artikel 85 Absatz 7 AIG frühestens drei Jahre nach der Anordnung der vorläufigen Aufnahme Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren in die Schweiz nachziehen und in die vorläufige Aufnahme einbeziehen lassen. Diese Wartefrist wird allerdings gemäss kürzlich erfolgtem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 9. Juli 2021 nach unten zu korrigieren sein. Staaten dürfen gemäss diesem Urteil für den Familiennachzug bei Personen mit vorübergehendem Schutzstatus eine Wartefrist von maximal zwei Jahren vorsehen. Die aktuelle Wartezeit von drei Jahren im Sinne vom Artikel 85 Absatz 7 AIG verletzt gemäss neuer Rechtsprechung somit Artikel 8 der Europäische Menschenrechtskonvention.
Neben der neu geltenden Wartefrist von zwei Jahren sind kumulativ folgende Voraussetzungen zu erfüllen:
- Absicht des Zusammenwohnens in einer bedarfsgerechten Wohnung;
- Kein Sozialhilfebezug der in der Schweiz vereinten Familie, d.h. Deckung des Lebensbedarfs der Familie;
- Kein Bezug von Ergänzungsleistungen der nachzuziehenden Person bzw. kein Genuss solcher Leistungen durch den Nachzug; und
- Anmeldung für ein Sprachförderungsangebot (sofern die nachzuziehende Person kein Kind ist oder nicht bereits die am Wohnort gesprochene Landessprache beherrscht).
Falls die Voraussetzungen des Familiennachzugs erfüllt sind, sollten sich in Afghanistan aufhaltende Familienangehörige die Krisengebiete umgehend verlassen und das Gesuch um Familiennachzug in die Schweiz im sicheren Ausland abwarten. Es ist zu hoffen, dass die kantonalen Migrationsbehörden ihr Ermessen bei Familiennachzugsgesuchen grosszügig anwenden werden und insbesondere die neue Wartefrist von zwei statt drei Jahren rasch umgesetzt wird.