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Warnung vor Verkehrskontrollen

Die Voraussetzungen des schweren Falls der öffentlichen Warnung vor Verkehrskontrollen nach Art. 98a Abs. 4 SVG.
Tachometer

Ein schwerer Fall der öffentlichen Warnung vor Verkehrskontrollen nach Art. 98a Abs. 4 SVG kann nach Ansicht des Bezirksgerichtes Winterthur vorliegen, wenn die Warnungen über ein ausgeklügeltes System versandt oder abgegeben werden, entgeltlich sind, speziell in dafür bestehenden Gruppen verbreitet werden, eine hohe Anzahl solcher Warnungen erfolgt, und die Warnungen genügend konkret sind.

Rechtsanwalt Matthias Fricker

Matthias Fricker

Rechtsanwalt und Partner bei Fricker und Füllemann Rechtsanwälte
Studium an der Universität St. Gallen mit Abschluss Master in Law (M.A. HSG in Law) im Jahr 2012, eingetragen in Anwaltsregister des Kantons Zürich, Mitglied des Zürcher Anwaltsverbandes.

Schwere öffentliche Warnung vor Verkehrskontrollen

Ein Klient von Fricker Füllemann Rechtsanwälte hatte zwischen Februar und Mai 2021 über seinen Instagram-Account in insgesamt fünf Beiträgen eine Warnung vor Verkehrskontrollen veröffentlicht und dies gegenüber den Strafverfolgungsbehörden auch eingestanden. Damit hat er gegen Art. 98a Abs. 3 lit. a SVG verstossen.

Anstatt wie in solchen Fällen üblich einen Strafbefehl zu erlassen, erhob die Staatsanwaltschaft direkt Anklage beim Bezirksgericht Winterthur und beantragte eine Verurteilung wegen eines «schweren Falles» des öffentlichen Warnens (d.h. des qualifizierten Tatbestands gemäss Art. 98a Abs. 4 SVG) unter Ausfällen der Maximalstrafe. Insgesamt sah sich der Klient mit einer unbedingten Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen à CHF 90.00, total CHF 16’200.00, konfrontiert. Aufgrund dieses Vorgehens, d.h. der sofortigen Anklage sowie der hohen und zudem unbedingten Geldstrafe, erlangte der Fall ein hohes Medieninteresse.

Bis anhin keine gerichtliche Verurteilung wegen eines schweren Falls

In der mündlichen Urteilsbegründung vom 21. Dezember 2021 folgte das Bezirksgericht Winterthur in der rechtlichen Beurteilung des Tatbestandes den Anträgen von Fricker Füllemann Rechtsanwälte und kam zum Schluss, dass eindeutig nur ein einfacher Fall der öffentlichen Warnung vor Verkehrskontrollen vorliege. Zur Begründung wurde ausgeführt, seit der Einführung der Strafnorm im Rahmen von Via Sicura im Jahr 2013 seien keine gerichtlichen Verurteilungen wegen eines schweren Falls der öffentlichen Warnung vor Verkehrskontrollen ergangen. Das Gericht führte weiter aus, nicht sagen zu können, wann genau ein schwerer Fall vorliege, erwähnte jedoch die fünf Kriterien «ausgeklügeltes System», «Entgeltlichkeit», «Spezialisierung», «hohe Anzahl an Warnungen» und «Konkretisierungsgrad der Warnungen» als für die Annahme eines schweren Falles relevant. Vorliegend sei kein Kriterium erfüllt.

Tatbestandselemente des schweren Falls der öffentlichen Warnung vor Verkehrskontrollen

Das Gericht handelte die einzelnen Kriterien nicht vertieft ab und bezog nicht weiter Stellung. Zu den genannten Kriterien ist Folgendes festzuhalten.

Ausgeklügeltes System:
Nach Ansicht des Gerichts spreche für einen schweren Fall, wenn Warnungen mittels eines ausgeklügelten Systems versandt oder abgegeben werden. Dem kann grundsätzlich gefolgt werden. Ein hoher Aufwand zur Verschleierung der öffentlichen Warnung stellt in Verbund mit weiteren Kriterien ein taugliches Bewertungselement dar.

Entgeltlichkeit:
Weiter für die Annahme eines schweren Falles spreche die Entgeltlichkeit der Information. Der Schreibende ist insbesondere der Meinung, dass Gewerbsmässigkeit (d.h. die Erzielung eines regelmässigen Einkommens) als Kriterium herangezogen werden kann. Das erzielte Entgelt müsste dabei aber substantiell sein.

Spezialisierung:
Darunter ist wohl zu verstehen, dass ein
Account beziehungsweise eine dedizierte Gruppe speziell und nur zur Warnung vor Verkehrskontrollen existiert. Aus einer solchen «Spezialisierung» würde sich insbesondere ergeben, dass Gruppenmitglieder oder Abonnenten tatsächlich eine Warnung vor Verkehrskontrollen wünschen. Daraus wiederum können qualitative Aussagen über den «Erfolg» beziehungsweise die Reichweite der Warnungen abgeleitet werden.

Hohe Anzahl:
Die Anzahl der Warnungen stellt klarerweise ein Qualifikationselement dar.

Konkretisierung:
Die räumliche Konkretisierung der Warnung soll gemäss Einzelrichterin ebenfalls ein Qualifikationselement darstellen. Dem ist vollumfänglich zuzustimmen. Eine räumlich völlig unbestimmte Warnung würde nämlich dazu führen, dass der «gewarnte» Verkehrsteilnehmer überall die Höchstvorschriften einhält und würde damit der generellen Verkehrssicherheit dienen. Dies kann nicht der Zweck der Strafnorm sein.

Die genannten Kriterien sind grundsätzlich tauglich zur Annahme eines schweren Falles der öffentlichen Warnung vor Verkehrskontrollen. Nach Ansicht von Fricker Füllemann Rechtsanwälte ist jedoch klarerweise bei -unentgeltlich erfolgenden- öffentlichen Warnungen nicht von einem schweren Fall auszugehen, unabhängig von den übrigen Kriterien. Verschärfungen der Praxis zu dieser gesellschaftlich ohnehin umstrittenen Strafnorm sind abzulehnen.

Kostenverteilung gibt Anlass zur Kritik

Betreffend die Kostenverteilung hatte Fricker Füllemann Rechtsanwälte beantragt, die Gerichtskosten und die Kosten der Wahlverteidigung seien auf die Staatskasse zu nehmen, da das Verfahren klarerweise mit Strafbefehl hätte erledigt werden können. Das Gericht auferlegte dem Beschuldigten jedoch die Verfahrenskosten mit der Begründung, eine günstigere rechtliche Würdigung führe nicht zu einer anderen Kostenverteilung.

Diese Begründung ist insofern korrekt, als dass in Lehre und Rechtsprechung bis anhin offengelassen wurde, ob sich ein Anspruch auf einen korrekten Strafbefehl aus der Strafprozessordnung herleiten lässt (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_523/2014 vom 15. Dezember 2014 E. 5.5; 6B_485/2013 vom 22. Juli 2013 E. 2.1; 6B_367/2012 vom 21. Dezember 2012 E. 3). Bestünde ein Anspruch auf Erlass eines korrekten Strafbefehls (im vorliegenden Falle anstelle einer Anklage), dann würde eine abweichende, günstigere rechtliche Würdigung des erstinstanzlichen Gerichts im Vergleich zum Strafbefehl die verurteilte Person teilweise oder ganz von der Kostenpflicht im Sinne von Art. 426 Abs. 1 Satz 1 StPO befreien. Voraussetzung für einen Anspruch auf einen Strafbefehl wäre auf jeden Fall, dass die beschuldigte Person im Vorverfahren den Sachverhalt eingestanden hat oder dieser anderweitig ausreichend geklärt ist (vgl. Art. 352 Abs. 1 StPO). Dies war vorliegend gerade der Fall – der Sachverhalt war unbestritten, geklärt und der Beschuldigte hatte die öffentlichen Warnungen eingestanden.

Nach Rechtsauffassung von Fricker Füllemann Rechtsanwälte ist ein solcher Anspruch auf Erlass eines Strafbefehls zu bejahen. Wird ein solcher Anspruch verneint, würde damit der Möglichkeit zur behördlichen Schikane mittels unnötiger Anklage statt Aussprechen von Strafbefehlen Tür und Tor geöffnet, was sich im vorliegenden Falle im Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden mindestens in gewissen Ansätzen abzeichnet.

Gesamthaft kann dem Urteil (GG120089 vom 21. Dezember 2021, noch nicht rechtskräftig) damit gefolgt werden. Betreffend Kostenverteilung wäre jedoch zu wünschen, dass die Rechtsprechung bei ähnlichen Fallkonstellationen künftig Ansprüche zugunsten der Beschuldigten anerkennt. Damit bleibt betreffend der Kostenverteilung ein gewisses Gefühl von Anstössigkeit bestehen.

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